Deutsche Rentenversicherung

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Streitgespräch: Personenzentrierung versus Standardisierung am 21. Oktober 2016

Beim Streitgespräch "Personenzentrierung versus Standardisierung" tauschten Prof. Dr. Peter Löcherbach und Prof. Dr. Jörg-Rüdiger Blau am 21. Oktober 2016 auf dem Rehabilitations-Forum ihre Positionen aus.

Prof. Dr. Jörg-Rüdiger Blau, TU Ilmenau, Institut für Biomedizinische Technik und Informatik

Thesen von Prof. Dr. Jörg-Rüdiger Blau

Was bedeutet "Personenzentrierung" – bezogen auf die verschiedenen Arten von Rehabilitationsleistungen und bezogen auf die Durchführung der einzelnen Rehabilitation?

Der Patient erwartet, getrieben von seinem (Einzel-)Schicksal, eine ganz individuelle Betrachtung und Therapie seiner Problemlagen. Insoweit ist der Bedarf an Leistung unendlich. Auch die Ethik der Gesundheitsberufe schränkt den Bedarf nicht ein. Die endlichen Ressourcen der Gesellschaft für Gesundheitsdienstleistungen führen zur Betrachtung der Effizienz von Therapiekonzepten und damit zwangsläufig zur Standardisierung.

Was bedeutet "Standardisierung" – bezogen auf die verschiedenen Arten von Rehabilitationsleistungen und bezogen auf die Durchführung der einzelnen Rehabilitation?

Standardisierung ist eine Möglichkeit der Stabilisierung der Effizienz unter den Bedingungen endlicher Ressourcen.

Standardisierung von Therapiekonzepten wird von einer Reihe verschiedener interner und externer Faktoren erzwungen:

1. interne Faktoren:
a. Fluktuation der Therapiekompetenz im ärztlichen und therapeutischen Dienst
b. Standardisierung verteilt die Ressourcen optimal auf die aktuelle Patientenklientel der Klinik und schafft damit ggf. eine verbesserte Leistungsgerechtigkeit bei Verringerung der Beachtung individueller Bedürfnisse

2. externe Faktoren:
a. eine Vielzahl von Standards versuchen retrospektiv die Therapiegüte einer Klinik zu bewerten
b. besonders kritisch: eventuell retrospektive Analyse von Qualitätspunkten zur prospektiven Bestimmung von Entgelten
Kliniken sind gezwungen, diese Bemessungen zu “controllen”.

Wieviel Standardisierung bedeuten die Reha-Therapiestandards (RTS) der Rentenversicherung und wieviel Personenzentrierung erlauben sie?

Die Therapiestandards sind retrospektive Analysemethoden, die vordergründig damit keinerlei Einschränkung bewirken. Die prinzipielle Notwendigkeit der Erfüllung der Therapiestandards durch die daran gemessenen Kliniken bewirken in der Praxis allerdings eine prospektive Abschätzung der “Therapiestandardtauglichkeit” des gewählten Therapieregimes und schränken damit die Individualisierung ein.

Wieviel kostet Personenzentrierung in der Reha-Einrichtung (z. B. durch mehr Einzelangebote, mehr Gespräche zur Vereinbarung von Zielen und Therapien)?

Mit den üblichen Stellenplänen sind im Prinzip gute individualisierte Therapiekonzepte gestaltbar. Das reale Leben einer Klinik (Fluktuation, Urlaub, Krankheit, Zertifizierungen…) ist leider eher mit der Aufrechterhaltung der Konzepte beschäftigt. Für ein Arbeiten mit einem hohen Maß an Individualisierung auf der Basis homogenisierten Therapiekonzepten (Module, Standards…) wird mit einem "Überschuss" an Therapeuten gearbeitet werden müssen. Hier bleibt wohl die Finanzierungsfrage auch zukünftig offen.

Wie verhindere ich, dass Personenzentrierung zur Beliebigkeit wird?

Beliebigkeit entsteht dann, wenn Wunschtherapieverordnung als Personenzentrierung missgedeutet wird.

Wie verhindere ich, dass durch Standardisierung nicht mehr auf die je individuellen Problemlagen der Versicherten angemessen eingegangen wird?

Meines Erachtens ist das berufsständige Selbstverständnis von Ärzten und Therapeuten an sich ein Garant für Individualisierung. Die Verlagerung der Therapieverantwortung auf das Rehateam stellt die Methode der Wahl dar. Leider sind oft Ressourcenbeschränkungen hemmend.

Wer sollte bei einer Standardisierung die Standards entwickeln und vorgeben?

Vorgabe konsentierter externer Standards in groben Therapiekategorien (ggf. Wirkkategorien), da wegen des komplexen Systemes der biopsychosozialen Natur des Patienten die patientenbezogene Effektivität weder für Einzeltherapien noch für Therapiekonzepte exakt beschreibbar ist.

Werden durch Standardisierung die Ressourcen gerechter auf die Versicherten verteilt?

Wie beschrieben versucht Standardisierung die endlichen Ressourcen effektiv und effizient auf die Patientenklientel zu verteilen. Wegen der hohen Komplexität und der realen Existenz von Gegenspielern (Krankheit, Urlaub, aktuelle Patientenbelastbarkeit…) wird diese Aufgabe wohl nur mit IT-Unterstützung lösbar sein. Von Ressourcenplanungssystemen ist zu fordern, dass sie die (Sub-)Optimierung der Ressourcen auf Basis multipler Zielfunktionen (Individuum, aktuelle und zukünftige Patiententenklientel der Klinik) durchführt. Dann gelingt es bei Erfüllung externer Standards die Ressourcen "gerechter" und damit individuell zu nutzen.

Ist Personenzentrierung kompatibel mit dem Massengeschäft "Medizinische Rehabilitation" (rund 1 Mio. med. Reha-Leistungen der RV pro Jahr)? Inwiefern kann Personenzentrierung ein Standard sein?

Die übliche Praxis ist, die Therapieverordnung auf Basis eines (klinikeigenen) Standards durch individualisierte Komponenten zu ergänzen. Insoweit gehen die Kliniken den "goldenen" Mittelweg.

Und hier geht es zu den Thesen von Prof. Dr. Peter Löcherbach

Thesen Prof. Dr. Löcherbach