Deutsche Rentenversicherung

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Digitaler Wandel - Teilhabe gestalten

Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund, beim Rehabilitations-Forum der Deutschen Rentenversicherung Bund am 29. Oktober 2018

Brigitte GrossQuelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Brigitte Gross Brigitte Gross, Direktorin Rehabilitation bei der Deutschen Rentenversicherung Bund

Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort.


Meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch ich freue mich sehr, Sie auf dem diesjährigen Reha-Forum begrüßen zu dürfen.

Herr Abteilungsleiter Flecken und Frau Roßbach haben die Bedeutung der Digitalisierung deutlich gemacht.
Ich möchte in meinem Vortrag der Frage nachgehen, ob und wie sich die Beschäftigtenverhältnisse durch Digitalisierung verändern. Dazu werde ich einige Daten vorstellen. Des Weiteren werde ich mich mit der Frage beschäftigen wie Digitalisierung das Verständnis von Teilhabe verändert.

Digitalisierung – ein Hype?

Vortrag Brigitte Gross Folie 2Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 2 Folie 2: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Dennoch lässt die gegenwärtig starke Präsenz des Themas Digitalisierung in den Medien und öffentlichen Diskussionen den Eindruck entstehen, dass Digitalisierung in einem kleinen Zeitfenster alles grundlegend verändert und nicht der Anschluss verpasst werden darf. Dies ist sicherlich auf die beeindruckenden technologischen Fortschritte der letzten 10 - 15 Jahre zurückzuführen, die mit den darauf basierenden Entwicklungen wie Industrie 4.0, Big Data, Künstliche Intelligenz oder Internet der Dinge Raum für zahlreiche Zukunftsszenarien bieten.
Ich möchte an dieser Stelle, den amerikanischen Wissenschaftler und Zukunftsforscher Roy Amara zitieren, der konstatierte: "Wir neigen dazu, die Auswirkungen einer Technologie kurzfristig zu überschätzen – und langfristig zu unterschätzen." Dieses sogenannte Amaras Gesetz ging in die Geschichte ein. Ich denke, dass trifft es ganz gut. Der Gedanke der Überschätzung wird jedem von uns schon mal gekommen sein. Denken wir an die Kluft zwischen den Herausforderungen heute und den Zukunftsszenarien. So werden mit den neuen Technologien große Hoffnungen verbunden. Nehmen wir z. B. Pepper oder Watson, es wird behauptet, dass die künstliche Intelligenz eines Tages ein Bewusstsein entwickelt und klüger sein werde als der Mensch. Ebenfalls verspricht man sich große Kosteneinsparungen, zum Beispiel im Gesundheitswesen.
Der Hinweis auf die langfristige Unterschätzung sollte uns jedoch ermutigen, uns mit dem digitalen Wandel und seiner Bedeutung für Rehabilitation und Teilhabe aktiv auseinanderzusetzen und ihn nicht einfach als überschätzt abtun. Zumal Digitalisierung ein Prozess ist, der sich seit Langem vollzieht und unsere Gesellschaft bereits strukturell verändert hat und weiter verändern wird. Aus meiner Sicht müssen wir uns konstruktiv und kritisch mit den Entwicklungen auseinandersetzen, ihren Nutzen abwägen, ethische und rechtliche Fragen in den Blick nehmen, Entscheidungen treffen und ggf. auch wieder revidieren, wenn sich eingeschlagene Wege nicht bewähren. Kurz gesagt: wir müssen den digitalen Wandel in unseren Themenfeldern Alterssicherung, Teilhabe und Rehabilitation mitgestalten.
Meine Damen und Herren, der digitale Wandel geht mit vielen grundsätzlichen Fragen einher: wie wird sich die Gesellschaft ändern, wie sieht Arbeit in der Zukunft aus, welchen Stellenwert wird sie für das Individuum haben, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Sozialsicherungssysteme, für unser Verständnis von Teilhabe und für die Ausgestaltung der Rehabilitation.
Kurz gesagt: Die Digitalisierung bringt alles auf den Prüfstand. Daher möchte ich zunächst den Blick auf den Status quo als Ausgangspunkt richten, um im nächsten Schritt die Bedeutung der Digitalisierung für die Rentenversicherung und Rehabilitation zu beleuchten.

Sozialsicherungssystem Rentenversicherung

Vortrag Brigitte Gross Folie 3Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 3 Folie 3: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Wenn wir uns die Rentenversicherung als Sozialsicherungssystem anschauen, so ist ihr Ziel, Beschäftigte im Alter, im Fall der Erwerbsminderung und deren Hinterbliebene im Falle des Todes finanziell abzusichern. Zudem ist es unsere Aufgabe, Erwerbsminderung über Rehabilitationsleistungen zu verhindern, um die Teilhabe am Arbeitsleben und an der Gesellschaft zu gewährleisten. Dies wird über ein Finanzierungsmodell ermöglicht, das grundsätzlich auf Beitragszahlungen der Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten basiert und zur Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben um Steuerzuschüsse ergänzt wurde. Die Gestaltung der Sozialsicherungssysteme orientiert sich dabei am Normalarbeitsverhältnis. Ein Normalarbeitsverhältnis wird dabei definiert als abhängiges Beschäftigungsverhältnis, das in Vollzeit oder in Teilzeit über 20 Wochenstunden und unbefristet ausgeübt wird. Zudem arbeiten die Beschäftigten direkt in dem Unternehmen, mit dem sie den Arbeitsvertrag geschlossen haben. Davon abgegrenzt werden Selbstständige, atypisch Beschäftigte in beispielsweise befristeten und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, die i. d. R. nicht umfassend in die Sozialsicherungssysteme integriert sind und die nicht in dem Maße Ansprüche auf Leistungen aus den Sicherungssystemen erwerben, wie das bei Beschäftigten in einem Normalarbeitsverhältnis der Fall ist. Dies ergibt sich aus dem Äquivalenzprinzip, das der gesetzlichen Rentenversicherung zu Grunde liegt. Danach wird die Vorleistung in Form von abgeführten Beiträgen direkt zur Leistung, also der später gezahlten Rente, in Beziehung gesetzt. Verändert sich das Verhältnis von atypisch Beschäftigten und Selbstständigen zu Beschäftigten im Normalarbeitsverhältnis maßgeblich und nachhaltig, hat dies zum einen Konsequenzen für die Finanzierungsgrundlage und zum anderen für die Beschäftigungsfähigkeit und damit Auswirkungen auf die Rehabilitation.

Finanzsituation

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Die Finanzsituation der Rentenversicherung spiegelt die prosperierende Wirtschaftslage in Deutschland in den letzten Jahren wider. Der seit 2015 geltende Beitragssatz für die gesetzliche Rentenversicherung in Höhe von 18,7 % wurde 2018 auf 18,6 % gesenkt. 2,1 % der Gesamtausgaben von rund 299 Milliarden Euro wurden für Leistungen zur Teilhabe aufgewendet. Das sind ca. 6,4 Milliarden Euro.

Versichertenstruktur

Vortrag Brigitte Gross Folie 5Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 5 Folie 5: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Die Analyse der Versichertenstruktur zeigt, dass zum Stichtag 31.12.2016 ca. 81 % der aktiv Versicherten versicherungspflichtig Beschäftigte waren, 3,7 % waren andere Pflichtversicherte wie Künstler, Handwerker oder Pflegepersonen und Kindererziehende. 5,9 % der aktiv Versicherten waren ausschließlich geringfügig Beschäftigte, während Selbstständige ca. 0,8 % der aktiv Versicherten ausmachten.

Beschäftigtenstatus

Vortrag Brigitte Gross Folie 6Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 6 Folie 6: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Wie sieht der Beschäftigtenstatus heute aus?
Das Statistische Bundesamt erhebt einmal jährlich über einen Mikrozensus die Erwerbsformen. Der Mikrozensus berücksichtigt die sogenannten Kernerwerbstätigen. Es handelt sich dabei um Erwerbstätige im Alter von 15 bis 64 Jahren, die sich nicht in Bildung, Ausbildung oder einem Freiwilligendienst befinden. Über die letzten 26 Jahre zeigt sich zunächst eine Abnahme des Normalarbeitsverhältnisses von ca. 26,9 Millionen im Jahr 1991 auf 22,1 Millionen im Jahr 2006. Auffällig ist, dass im gleichen Zeitraum die Zahl der atypisch Beschäftigten von 4,4 Millionen auf 7,6 Millionen zugenommen hat. Seit 2007 bewegt sich die Zahl der atypisch Beschäftigten mit leichten Schwankungen auf dem Niveau von ca. 7,7 Millionen. Zu atypisch Beschäftigten werden Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeitnehmerinnen, befristet Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte mit maximal 20 Wochenstunden sowie geringfügig Beschäftigte gezählt. Die Zahl der Selbstständigen lag 1991 bei ca. 2,8 Millionen, im Jahr 2011 dann bei ca. 3,9 Millionen und ging zurück auf ca. 3,6 Millionen Menschen im Jahr 2017.

Beschäftigtenstatus nach Anteilen

Vortrag Brigitte Gross Folie 7Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 7 Folie 7: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Vergleichen wir die Jahre 1997, 2007 und 2017, so wird deutlich, dass der Anteil des Normalarbeitsverhältnisses 1997 bei über 77 % lag, 2007 auf 66 % gesunken ist und 2017 mit rund 70 % wieder angestiegen ist. Für die Gruppe der Selbstständigen und der atypisch Beschäftigten lässt sich beim Vergleich der Jahre 1997 und 2007 eine Steigerung der Anteile ausmachen, während dann von 2007 zu 2017 ein Rückgang des Anteiles zu verzeichnen ist. Dabei machten Solo-Selbstständige 1997 ca. 49 % der Selbstständigen aus, 2007 55 % und 2017 rund 54 %. Der Vergleich zeigt auch, dass die Anteile atypisch Beschäftigter und Selbstständiger trotz des Rückgangs in den letzten 10 Jahren auf einem höheren Niveau als noch 1997 liegen. Die Veränderung der Beschäftigtenstruktur zu Ungunsten des Normalarbeitsverhältnisses hat sich jedoch maßgeblich in den Jahren 1991 bis 2007 vollzogen, während in den letzten 10 Jahren ein Zunahme der Zahl der Normalarbeitnehmer und Normalarbeitnehmerinnen zu verzeichnen war. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass aktuell kein eindeutiger Trend einer stetigen Abnahme des Normalarbeitsverhältnisses erkennbar ist.

Inanspruchnahme Reha nach Arbeit vor Antragstellung

Vortrag Brigitte Gross Folie 8Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 8 Folie 8: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Wenn wir uns die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen anschauen, können wir sehen, dass 2017 über 60 % der Rehabilitanden, die einen Antrag gestellt haben, angaben, ganztags beschäftigt zu sein, ca. 12,5 % waren in Teilzeit mit mindestens der Hälfte der üblichen Arbeitszeit beschäftigt und ca. 5,7 % waren arbeitslos. Ein Blick zurück ins Jahr 2012 ergibt, dass damals lediglich 57 % angaben, ganztags beschäftigt zu sein, dafür waren 8,1 % arbeitslos. Also nehmen 2017 mehr Ganztagsbeschäftigte Rehabilitationsleistungen in Anspruch.

Inanspruchnahme Reha nach Stellung im Beruf

Vortrag Brigitte Gross Folie 9Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 9 Folie 9: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Die Auswertung der Reha-Inanspruchnahme nach Stellung im Beruf für 2017 zeigt, dass über 48 % der medizinischen Reha-Leistungen von Angestellten beantragt werden, knapp 20 % von Facharbeitern, 11,7 % von angelernten und ungelernten Arbeiter und 2,3 % von Selbstständigen. Im Vergleich zu 2012 ist der Anteil der Facharbeiter und Arbeiter rückläufig, der Anteil der Angestellten steigend.

Inanspruchnahme Reha nach Berufsgruppe

Vortrag Brigitte Gross Folie 10Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 10 Folie 10: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Schauen wir uns die Berufsgruppen an, so lässt sich für 2017 feststellen, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vornehmlich von Beschäftigten beantragt wurden, die Tätigkeiten in Handels- und Verkehrsberufen, Organisations- und Verwaltungsberufen sowie Gesundheitsberufen ausüben. Eine Aussage zur Entwicklung der Berufsgruppen lässt sich zurzeit nicht valide treffen.

Wandel der Beschäftigungsverhältnisse (1)

Vortrag Brigitte Gross Folie 11Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 11 Folie 11: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Unabhängig von den gegenwärtigen Zahlen zur Beschäftigungsstruktur ist die öffentliche Auseinandersetzung zum Thema digitaler Wandel und seinen Auswirkungen auf Wirtschaft, Industrie und Arbeit geprägt von der politischen und wissenschaftlichen Debatte über die zukünftige Veränderung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsformen sowie über Automatisierungs- und Substitutionspotenziale. So wird davon ausgegangen, dass digitale Plattformen in Zukunft eine deutlich größere Rolle nicht nur beim Verkauf von Gütern und Dienstleistungen, sondern auch bei deren Vermittlung und Erstellung spielen werden. Dies geht, so zumindest die Annahmen, in der Arbeitswelt 4.0 mit anderen flexibleren Arbeits- und Beschäftigungsformen wie crowd-, klick- oder gig-working einher. Die Beschäftigung wird sich demnach weg vom heute als Norm definierten Normalarbeitsverhältnis hin zu deutlich mehr selbstständiger Erwerbstätigkeit entwickeln. Zudem wird diskutiert, wie sich die Digitalisierung und die damit bestehende Möglichkeit der Automatisierung auswirken. Welche Tätigkeiten und Berufe werden in Zukunft durch Menschen und welche durch Maschinen ausgeübt? Welche Berufszweige werden sich besonders stark verändern oder für Menschen als Betätigungsfeld gar wegfallen? Damit steht auch die Notwendigkeit, die Sozialsicherungssysteme anzupassen als Szenario und Frage im Raum.

Wandel der Beschäftigungsverhältnisse (2)

Vortrag Brigitte Gross Folie 12Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 12 Folie 12: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Zur Veränderung der Beschäftigungsverhältnisse finden sich bisher jedoch wenig empirische Untersuchungen, die gute Prognosen ermöglichen würden. Eine von Bonin und Rinne im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchgeführte Befragung im Jahr 2017 ergab, dass derzeit weniger als 1 % der Erwachsenen im Bereich des Crowdworking tätig sind. Gleichzeitig wird in zahlreichen Studien den Fragen nachgegangen, welche Tätigkeiten in Zukunft noch von Menschen ausgeführt werden, welche Rolle künstliche Intelligenz spielen wird, wie sich Berufsfelder verändern, welche verschwinden und welche neu hinzukommen. Während zum Beispiel Frey und Osborne 2013 in ihrer Studie ein hohes Automatisierungspotenzial aufgezeigt haben, kommen andere Studien zu dem Schluss, dass routinierte und regelgeleitete Tätigkeiten zwar ein hohes Automatisierungspotenzial aufweisen, jedoch neue Tätigkeiten hinzukommen werden. Zudem kann nicht gut eingeschätzt werden, inwieweit Unternehmen Automatisierungs- und Substitutionspotenziale tatsächlich auch in dem prognostizierten Maße ausschöpfen, da hierbei unternehmensbezogene Nutzen- und Risikoabwägungen eine große Rolle spielen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es wichtig ist, sich wissenschaftlich mit diesen Fragestellungen auseinanderzusetzen, Prognosen zu erstellen und Szenarien zu analysieren. Dennoch sind wir sehr weit davon entfernt, die gesellschaftlichen und arbeitsmarktbezogenen Veränderungen gut abschätzen zu können. Wir stellen fest: es ist offen, welcher Personenkreis in Zukunft als versicherungspflichtig und beitragspflichtig einbezogen werden wird, wie das Zusammenspiel von Entlohnungsstrukturen, Äquivalenzprinzip und sozialer Absicherung aussehen wird und inwieweit nationale Lösungen tragfähig sein werden. Die öffentlichen Debatten sowie die zahlreich geäußerten Vorbehalte und Ängste zeigen jedoch, dass der digitale Wandel grundlegende Fragen zur Gestaltung unserer Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitswelt aber auch zur Relevanz von Arbeit als Lebenssinn berührt. Für uns als Rentenversicherung ist es, aus meiner Sicht, unerlässlich, die Entwicklungen mit Blick auf unser Ziel der Altersabsicherung und der dafür notwendigen finanziellen Basis intensiv zu beobachten und politische Entscheidungen mit unserer Expertise zu unterstützen.

Teilhabe neu denken?

Vortrag Brigitte Gross Folie 13Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 13 Folie 13: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Gleichzeitig müssen wir uns aber auch damit auseinandersetzen, wie Digitalisierung das Verständnis von Teilhabe verändert und die Möglichkeiten, teilzuhaben erweitert oder begrenzt. So werden zum einen Technologien wie Assistenzsysteme Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Einschränkungen in Zukunft mehr Unterstützung bieten können, zum anderen werden aber auch Berufsfelder und Tätigkeiten wegfallen, die Menschen, z. B. mit kognitiven Einschränkungen, heute ausführen. Was Beschäftigungsfähigkeit, also die Fähigkeit, am Arbeits- und Berufsleben zu partizipieren, in Zukunft bedeutet und welche Kompetenzen der Einzelne mitbringen muss, um den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden, lässt sich noch nicht abschätzen. Jedoch zeigt sich heute schon, dass Expertenwissen, Fähigkeiten und Kompetenzen wie Kreativität, Flexibilität, Selbstlernkompetenz oder digitale Medienkompetenz gefragt sind, um in zunehmend komplexen, global vernetzten und digital gestalteten Arbeitsprozessen zu agieren. Wir können davon ausgehen, dass Lernen und Qualifizieren ein integraler Bestandteil unserer Lebens- und Arbeitswelt sein wird. Wenn sich die Möglichkeiten teilzuhaben verändern und sich das Verständnis von Beschäftigungsfähigkeit wandelt, dann nimmt das Einfluss auf die Ausgestaltung der Rehabilitation im Auftrag der Rentenversicherung. Passen unsere Rehabilitationsangebote und -inhalte noch? Werden sie den Bedarfen der Versicherten und den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht? Sind die bisher bewährten Rehabilitationsformen sowie die Reha-Dauer in Zukunft noch geeignet? Müssen neue Leistungen ins Reha-Portfolio aufgenommen werden?
Hierbei wird es nicht darum gehen, die Rehabilitation von heute auf morgen zu ändern, dafür gibt es noch zu viele Unbekannte, sondern aus meiner Sicht muss es darum gehen, kontinuierlich im Sinne unserer Versicherten und Rehabilitanden unser Angebot weiterzuentwickeln. Ich denke dabei zum Beispiel an die Möglichkeit, die uns das vom BMAS geförderte Modellvorhaben rehapro bietet, neue innovative Ansätze auszuprobieren und auf heute schon erkennbare Entwicklungen einzugehen.
Zudem gilt es auszuloten, wie technologische Entwicklungen ihren Platz in der Rehabilitation finden. Hier zeigt sich aktuell, dass die Akutversorgung sowie Pflegeeinrichtungen besonders im Fokus der Diskussionen stehen. Chancen und Potenziale des digitalen Wandels für die medizinische sowie berufliche Rehabilitation zu nutzen und zu erschließen, sehe ich als wichtiges Handlungsfeld für die nächsten Jahre, das wir gemeinsam angehen müssen.

Rehabilitation im digitalen Wandel (1)

Vortrag Brigitte Gross Folie 14Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 14 Folie 14: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Meine Damen und Herren, die Rehabilitation in unserem Auftrag zielt auf die Re- (Integration) ins Erwerbsleben und damit auf die berufliche und gesellschaftliche Teilhabe. Hierbei spielen Lebensstiländerung und Verstetigung und damit Selbstmanagement durch den Einzelnen eine wesentliche Rolle. Das eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten, digitale Technologien in der Rehabilitation einzusetzen, sei es im Rahmen der Beratung, Therapie, Edukation oder der längerfristige Begleitung, um nur einige Bereiche zu nennen. Aus meiner Sicht lassen sich die Anwendungsoptionen über vier Handlungsfelder systematisieren: Informationen anbieten, Prozesse unterstützen, Erkenntnisse gewinnen und Leistungen gestalten.

Rehabilitation – im digitalen Wandel (2)

Vortrag Brigitte Gross Folie 15Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 15 Folie 15: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

So können Informationen rund um die Rehabilitation niedrigschwelliger über Apps und adressatengenauer über individualisierte Info-Portale angeboten werden. Beratungen können orts- und zeitungebundener über unterschiedliche Kommunikationskanäle durchgeführt werden und damit den individuellen Lebensumständen der Versicherten gerecht werden. Hierbei ist es entscheidend, Lösungen zu entwickeln, die den Wünschen und Erwartungen der Versicherten gerecht werden. Mit unseren online-Diensten wie dem e-Antrag bieten wir bereits die Möglichkeit, dass unsere Versicherten ihre Anliegen online bearbeiten können. Dies gilt es weiter auszubauen und bekannt zu machen. So ist unter anderem geplant, über Chats die Kommunikationsmöglichkeiten zu erweitern und Informationen schnell und individuell anzubieten. Das entwickelte AHB-Infoportal, das Frau Dr. Jenner morgen ausführlicher vorstellen wird, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wir themenspezifische Informationen digital und damit aktueller und komfortabler zur Verfügung stellen können.
Gleichzeitig bietet die Digitalisierung viel Potenzial, um Prozesse schlanker, nahtloser und komfortabler zu machen und das Zusammenspiel zwischen Rehabilitanden, Leistungsträger und Leistungserbringer zu unterstützen. Dies fängt bei der Antragstellung an, geht über die internen Verwaltungs- und Dokumentationsprozesse sowohl bei uns als Leistungsträger als auch bei Ihnen als Leistungserbringer bis hin zur Unterstützung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit. So können Klinikinformationssysteme die Leistungserbringung unterstützen, während zum Beispiel das System rvSMD für die qualitätsorientierte Einrichtungsauswahl bei uns als Leistungsträger zum Einsatz kommt. Herr Konrad wird in seinem Beitrag auf dieses Thema näher eingehen. Mit Blick auf Digitalisierung und Prozesse sind sicherlich Schnittstellen, Standards, Medienbrüche und Datensicherheit als die größten Herausforderungen zu nennen, vor denen wir alle stehen und für die wir einen langen Atem brauchen werden.

Rehabilitation – im digitalen Wandel (3)

Vortrag Brigitte Gross Folie 16Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 16 Folie 16: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Zudem könnte uns die Digitalisierung in Zukunft die Möglichkeit bieten, umfassende Datenanalysen mithilfe künstlicher Intelligenz durchzuführen, so dass wir neue Erkenntnisse für den Reha-Zugang und vielleicht auch für die Leistungsauswahl gewinnen können. Es würde dabei unterstützen, unser Ziel, die richtige Leistung für die richtigen Versicherten zur richtigen Zeit zu erreichen. Der entwickelte Index zum Erwerbsminderungsrisiko stellt hierbei einen ersten Schritt dar. Der Index ermöglicht es uns, Versicherte mit einem hohen Risiko der Erwerbsminderung über Routinedaten zu identifizieren. Jedoch muss uns bewusst sein, dass Datenanalysen lediglich die zielgerichtete Identifikation unterstützen, der nächste Schritt Versicherte zu überzeugen, Angebote in Anspruch zu nehmen, muss sich konsequenterweise anschließen und bedarf innovativer Konzepte und passender Leistungen.
Assistenzsysteme, Virtual Reality Anwendungen können je nach Indikation neue Möglichkeiten bei der Therapiegestaltung eröffnen und dem therapeutischen Personal die Arbeit erleichtern. Schulungs- und Unterrichtsinhalte, z. B. in der Kinder- und Jugendrehabilitation können, eingebettet in sinnvolle didaktische Konzepte, auch über digitale Medien vermittelt werden. Im Sinne einer Versorgungskontinuität und Verstetigung kann eine längerfristige Begleitung von Rehabilitanden über die Zeit in der Reha-Einrichtung hinaus technisch durch Apps, Chats oder Wearables unterstützt werden. Die Beiträge von Frau Dr. Becker sowie von Herrn Dr. Olbrich und Herrn Schmädeke werden uns hierzu morgen einen interessanten Einblick geben. Die kommunikative Vernetzung z. B. im Rahmen von Fallmanagement über regionale Strukturen hinaus kann durch digitale Technologien erleichtert werden.

Meine Damen und Herren, ich könnte hier sicherlich noch viele Anwendungsmöglichkeiten aufzählen. Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass wir angesichts dieses Spektrums an Möglichkeiten, das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren – und das sind unsere Versicherten bzw. unsere Rehabilitanden. Wir müssen uns immer fragen, welchen Nutzen bieten die digitalen Technologien für die Rehabilitanden, aber auch welche Erwartungen haben unsere Rehabilitanden. Gleichzeitig sind wir besonders in der Verantwortung, den Datenschutz und das Recht der informationellen Selbstbestimmung unserer Rehabilitanden zu gewährleisten. Wir müssen uns mit Risiken und Barrieren, die Digitalisierung auch mit sich bringt, auseinanderzusetzen. So kann es aus therapeutischer oder aus datenschutzrechtlicher Sicht sinnvoll sein, dass wir uns bewusst gegen den Einsatz bestimmter Technologien entscheiden. Unter dem Gesichtspunkt der Teilhabe und Inklusion liegt es in unserer Verantwortung als Sozialleistungsträger, dafür Sorge zu tragen, dass Versicherte und Rehabilitanden barrierefrei Zugang zu Informationen und Leistungen erhalten. Das bedeutet für mich, dass wir uns zum Beispiel Gedanken darüber machen müssen, wo wir bewusst digitale und analoge Angebote parallel zur Verfügung stellen und wir dies in unserem System sinnvoll abbilden können. Frau Dr. Weinbrenner wird morgen in ihrem Beitrag noch ausführlicher auf das Spannungsfeld zwischen Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für die Rehabilitation eingehen.

Fazit

Vortrag Brigitte Gross Folie 17Quelle:Deutsche Rentenversicherung Bund Vortrag Brigitte Gross Folie 17 Folie 17: zum Vergrößern bitte auf die Lupe klicken! Rückkehr zum Text mit Esc-Taste.

Meine Damen und Herren, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung titelte am 14. Oktober diesen Jahres: „Es gibt ein Leben nach dem Smartphone.“ Die Prognose lautet, dass die Bedeutung des Smartphones als Kommunikationsmittel deutlich abnimmt. Neue Technologien wie zum Beispiel Maschinen, die Gesichtszüge, Körpersprache und die Umgebung analysieren können, sind in der Entwicklung. Des Weiteren wird daran gearbeitet, wie das Denken ohne einen Umweg über die Sprache genutzt werden kann. Der Gedanke an die Gedankensteuerung lässt bei mir ein gewisses Unwohlsein entstehen. Aber Vorbehalte und Skepsis haben den technischen Fortschritt bisher noch nie aufgehalten. Deshalb müssen wir bei der Gestaltung unserer Rehabilitation darauf achten, dass wir auf der einen Seite die neuen Anforderungen, die sich aus dem digitalen Wandel ergeben, aufgreifen und weiterentwickeln. Auf der anderen Seiten gilt es die Potenziale, die sich aus der digitalen Entwicklungen ergeben, zu nutzen. Hierbei müssen wir jedoch Prioritäten setzen, um nicht angesichts der vielen Optionen an den Erwartungen der Rehabilitanden vorbei Leistungen und Angebote zu entwickeln. Wir dürfen auch in der täglichen Arbeit an einzelnen digitalen Produkten, das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren, sondern müssen uns immer wieder hinterfragen. Dabei müssen wir auch darauf achten, dass Risiken und mögliche Teilhabebarrieren durch Digitalisierung nicht außen vor gelassen, sondern lösungsorientiert thematisiert werden.
Es ist mir daher wichtig, dass wir mit Ihnen im Dialog bleiben, um gemeinsam Lösungen und Weiterentwicklungen anzustreben, aber auch um konträre Standpunkte auszutauschen.