Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort.
Aktuelles aus der Sozialpolitik - Die Bedeutung der Digitalisierung für die Rehabilitation
Sehr geehrte Frau Roßbach,
sehr geehrte Frau Gross,
sehr geehrter Herr Konrad,
sehr geehrte Damen und Herren,
auf den Tag genau heute vor 20 Jahren bestieg der Astronaut John Glenn das Spaceshuttle "Discovery" und flog zum zweiten Mal in seinem Leben ins All. Das Besondere daran ist nicht, dass ein Mensch im Weltraum unterwegs ist – diese Nachricht landet heutzutage bei uns nur in der Tagesschau, wenn wie mit Alexander Gerst ein Deutscher ins All fliegt. Das Besondere ist, dass John Glenn zu diesem Zeitpunkt 77 Jahre alt war. Es sollte untersucht werden, wie sich die Schwerelosigkeit auf ältere Menschen auswirkt. Und wir können davon ausgehen, dass John Glenn gesundheitlich in Topform war.
Nun zieht es nicht jeden von uns ins Universum. Und nicht alle müssen den Ansprüchen der NASA genügen, um möglichst lange am Arbeitsleben teilhaben zu können. Und dennoch: Dass Menschen möglichst lange in der Lage sind, ihren Beruf bis zur Rente auszuüben oder nach einer Krankheit möglichst schnell wieder in einen Beruf einsteigen können, das muss unser gemeinsamer Anspruch sein!
Denn in Deutschland und vielen anderen Ländern müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir angesichts des demografischen Wandels auch in Zukunft die Arbeitskräfte haben, die wir brauchen. Und damit die Grundlage schaffen, dass die sozialen Sicherungssysteme finanzierbar und stabil bleiben.
Lage auf dem Arbeitsmarkt – Fachkräftebedarf
Die wirtschaftliche Lage und die Situation auf dem Arbeitsmarkt sind derzeit ausgezeichnet. Statt Massenarbeitslosigkeit haben wir es aktuell mit einer ganz anderen Herausforderung zu tun: Das Thema Fachkräftesicherung ist DIE Zukunftsfrage für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand. Den veränderten Altersaufbau unserer Gesellschaft müssen wir bei all unseren Entscheidungen und Maßnahmen mitdenken. (Und dies steht im Mittelpunkt Fachkräftestrategie der Bundesregierung)
Wir müssen alle Potenziale nutzen, die wir im Land haben:
- Frauen
- Neue Beschäftigungsperspektiven für Langzeitarbeitslose
Wir wissen aber, dass das inländische Potenzial den Fachkräftebedarf langfristig nicht decken kann. Deshalb hält diese Bundesregierung auch eine gesetzliche Regulierung zur Fachkräfteeinwanderung für notwendig.
- Eckpunkte liegen hierzu bereits vor.
- Diese sollen den Weg für qualifizierte Zuwanderung aus Drittstaaten frei machen.
Beschäftigungsfähigkeit erhalten – Teilhabe sichern
Es geht also darum, mit einer breit angelegten Strategie dafür sorgen, dass wir in Zukunft genügend Fachkräfte haben. Ein wichtiger Ansatz ist dabei auch, die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen möglichst lange zu erhalten oder schnell wiederherzustellen. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Dahinter stehen nicht nur ökonomische Motive. Es geht um die einzelnen Menschen und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Denn Arbeit ist mehr als Broterwerb. Zu arbeiten heißt vor allem, entsprechend der individuellen Fähigkeiten etwas leisten zu können und im Team Anerkennung zu bekommen. Darum geht es. Und darum ist Prävention und Rehabilitation so wichtig:
Sie bringt Menschen
- zurück an die Werkbank oder ins Büro,
- in den Kreis der Kolleginnen und Kollegen,
- sie befähigt sie, wieder etwas beizutragen und Wertschätzung zu erfahren.
Prävention und Rehabilitation sind damit auch prägende Kennzeichen eines vorsorgenden Sozialstaats. Denn Prävention und Rehabilitation schaffen die Grundlage dafür, dass Menschen nicht auf Versorgung durch den Staat angewiesen sind sondern mit ihren Fähigkeiten und ihrem Schaffen ihre Existenz und soziale Absicherung eigenständig und unter Wahrung ihres Selbstwertgefühls bewerkstelligen können.
Digitalisierung als Chance für Reha
Wir im BMAS sind der festen Überzeugung: Der technologische Fortschritt ist auf unserer Seite und eröffnet für Rehabilitation und Prävention neue Spielräume. Deshalb freut es Bundesminister Heil sehr, dass das 17. Reha-Forum der DRV Bund sich in diesem Jahr diesem Thema stellt und fragt: "Was bedeutet Digitalisierung für die Rehabilitation?" Auch im Zukunftsdialog "Neue Arbeit – neue Sicherheit", den Bundesminister Heil am 11. September gestartet hat, geht es um die Zukunft der Arbeit und die Zukunft unseres Sozialstaates in Zeiten radikalen und rasanten Wandels. Wir im BMAS meinen, dass mit einer Portion realistischer Zuversicht in diese Zukunft geblickt werden sollte. Denn die Digitalisierung eröffnet – bei allen Risiken – auch Chancen auf bessere und gesündere Arbeit:
- Mithilfe digitaler Assistenzsysteme können Beschäftige von schwerer körperlicher und monotoner Arbeit entlastet werden.
- Digitale Konzepte können Beschäftigte bei komplexen Tätigkeiten unterstützen.
Es ist allerdings zentral, dass bei diesen neuen technischen Möglichkeiten ein Ziel von Beginn an verankert ist: die Humanisierung von Arbeit und ganz besonders auch Aspekte der Teilhabe und Inklusion. Dies kann auch neue Chancen für die Rehabilitation eröffnen. Durch den digitalen Wandel können die Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe für die Versicherten in Zukunft noch zeit- und ortsflexibler erbracht werden. So eröffnet die Reha-Nachsorge völlig neue Spielräume. Digitale Konzepte können dabei helfen, in der Rehabilitation erlernte Verhaltensweisen und Bewegungsabläufe in den Alltag zu integrieren und so die Erwerbs-fähigkeit langfristig zu erhalten. Die Deutsche Rentenversicherung bietet als einer der größten Rehabilitationsträger ihren Versicherten bereits telematisch assistierte Reha-Nachsorge an [Tele-Nachsorge].
- Versicherte haben die Möglichkeit, via Tablet, Smartphone oder App an der Nachsorge teilzunehmen. Die Begleitung durch einen Therapeuten ist dabei immer sichergestellt.
Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel geben: In diesem Jahr haben rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Berufsgruppen Lokführer, Rangierer und Zugbegleiter von einem digitalen Modellprojekt der gesetzlichen Rentenversicherung profitiert.
- In diesen Berufsgruppen lassen sich wechselnde Arbeitsorte oder Schichtdienste mit einer kontinuierlichen ambulanten Behandlung nicht vereinbaren.
- Daher hat die Knappschaft/Bahn/See gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG eine zweiwöchige stationäre Präventionsmaßnahme mit anschließender sechsmonatiger Online-Betreuung auf den Weg gebracht. Die Versicherten konnten so unabhängig von Zeit und Ort weiter trainieren.
Über 60 Prozent der Teilnehmer haben das Projekt erfolgreich abgeschlossen und 47 Prozent gaben an, dass sich ihre Gesundheit verbessert habe. An diesem erfolgreichen Beispiel wird deutlich: Rehabilitation muss individuell und ganzheitlich sein. Und bei den Leistungen zur Teilhabe wird der Schwerpunkt künftig vermehrt auf dem lebenslangen Lernen und dem Erwerb höherwertiger Qualifikationen liegen.
Meine sehr verehrten Damen u. Herren,
Es gibt die Sorge, dass durch die Digitalisierung massenhaft Arbeitsplätze wegfallen könnten. Für Deutschland geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung davon aus, dass der Anteil an Tätigkeiten, die potentiell durch den Einsatz von Computern oder Maschinen ersetzt werden können, bei rund 25 Prozent liegt. Gleichzeitig werden aber auch neue Jobs und Berufsbilder entstehen. Aber sicher ist: In kaum einem Beruf wird der Mensch vollständig ersetzbar sein, und schon gar nicht in der Rehabilitation. Klar ist aber auch: Die Digitalisierung wird die Anforderungen an die Beschäftigten in der Rehabilitation verändern.
Herausforderungen und Ausblick
Der digitale Wandel wird zahlreiche datenschutz-rechtliche Fragen aufwerfen. Zum einen betrifft dies die Leistungsträger und Leistungserbringer und ihre Beschäftigten. Uns im BMAS ist dabei wichtig: Wir wollen keine gläsernen Mitarbeiter! Deshalb müssen die Belange des Beschäftigtendatenschutzes berücksichtigt werden. Um das zu erreichen, prüfen wir derzeit ein eigenständiges Gesetz zum Beschäftigtendaten-schutz – natürlich im Rahmen der Vorgaben des neuen EU-Rechts. Zum anderen geht es um den sensiblen und verantwortungsvollen Umgang mit den Versichertendaten. Die neue Datenschutz-Grundverordnung etwa soll die personenbezogenen Daten von Bürgerinnen und Bürgern europaweit einheitlich schützen. Entscheidend ist: Die Daten gehören den Rehabilitanden. Ohne ihre Einwilligung dürfen sie nicht erhoben oder verarbeitet werden. Für die Modernisierung der IT und eine vereinfachte Dokumentation von Versichertendaten brauchen wir einen trägerübergreifenden Gesamtprozess, der die unterschiedlichen Zielsetzungen der beteiligten Kosten- und Leistungsträger berücksichtigt. Dabei müssen wir Versicherte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Reha-Einrichtungen mitnehmen und moderne Standards etablieren. Denn eine Digitalisierung überkommener Verfahren dürfte wenig sinnvoll und erfolgversprechend sein.
Für die gesetzliche Rentenversicherung stellen sich vor allem Fragen mit Blick auf die Finanzierung: Zwar sind Leistungsträger und Leistungserbringer grundsätzlich an digitalen Lösungen interessiert, sie brauchen aber auch die dafür notwendigen finanziellen Mittel. Die Digitalisierung stellt also die gesamte Reha-Landschaft vor neue Aufgaben. Welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Organisation der Rehabilitation haben werden, ist derzeit kaum abzusehen. Dennoch ist absehbar, dass sich Reha-Leistungen und damit auch etablierte Prozesse und Verfahren grundlegend verändern werden. Damit die Digitalisierung in der Rehabilitation gelingen kann, muss sie Teil eines regionalen Versorgungsnetzwerks bleiben. Denn die Rehabilitation wird auch in Zukunft ohne die Menschen - also Versicherte, Therapeuten und Einrichtungen – nicht funktionieren.
Prävention vor Reha – "Rehapro"
In einer idealen Welt wäre Rehabilitation natürlich nicht nötig, weil wir erst gar nicht krank würden – und alle wie John Glenn mit 77 ins All fliegen könnten. Auch wenn wir diesen Idealzustand voraussichtlich nicht so bald erreichen werden, können wir doch einiges tun. Deshalb ist ein wichtiger Grundsatz für alle Sozialversicherungen: Prävention vor Rehabilitation. Den Grundsätzen "Prävention vor Rehabilitation" und "Rehabilitation vor Rente" folgt das Bundesprogramm "Rehapro". Auch dieses Programm ist darauf ausgelegt, durch neue Wege in der Prävention vor Rehabilitation die Zugänge in die Erwerbsminderungsrente aber auch in die Eingliederungs- bzw. Sozialhilfe zu verringern. Wir nehmen in dieser Legislaturperiode eine Milliarde Euro in die Hand, um mit "Rehapro" gezielt Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen in Arbeit zu halten oder zu bringen. Hierbei spielt uns schon heute der technologische Fortschritt in die Hände: Für seh- und sprechbehinderte Menschen gibt es zum Beispiel heute alle möglichen Arten von hilfreicher Software. Bundesminister Heil will daher gemeinsam mit den Spitzenverbänden bei der deutschen Wirtschaft gezielt dafür werben, dass unter Nutzung dieses technologischen Fortschritts mehr Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen eingestellt werden.
Schluss – John Glenn
Als John Glenn 1962 zum ersten Mal ins All flog, mussten Telefonate aus Deutschland in die USA bei der Deutschen Post angemeldet werden. Auf einen Brief aus den USA wartete man in Europa wochenlang. Was am Vortag auf der anderen Seite der Welt passiert war, erfuhr man frühestens am nächsten Tag aus der Zeitung oder dem Radio. Als John Glenn 1998 zum zweiten Mal ins All flog, gab es das Internet, Emails und Nachrichten in Echtzeit auf dem Smartphone. Das nennt man Fortschritt. Uns bleibt nur mitzugehen und Schritt zu halten. Dann können wir in vielen Bereichen unseres Lebens und unserer Arbeit vom Fortschritt profitieren. Das betrifft auch Rehabilitation und Prävention. Wie genau, darüber werden Sie sich heute und morgen austauschen.
Bundesminister Heil wünscht Ihnen daher ein interessantes und erfolgreiches Reha-Forum 2018!